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Die aktuelle Rezension
(März 2009)

Arne Dahl:
Totenmesse
München: Piper Verlag 2009,
403 Seiten
ISBN 978-3-492-05018-0
"Wie rächt man sich am zwanzigsten Jahrhundert?"




Bei Arne Dahl geht es immer ums Ganze. Um die Existenz. Um unhintergehbare ethische Prinzipien. Um die Welt und deren Fortbestand. Und sollte es wieder einmal harmlos anfangen wie in Totenmessse, dem siebenten ins Deutsche übersetzten Roman um die "Spezialeinheit für Gewaltverbrechen von internationalem Charakter bei der Reichskriminalpolizei", kurz das A-Team genannt und aus acht Personen bestehend, darf man sich nicht täuschen lassen. Wenn da bei einem gemütlichen Wochenendausflug ganz in Familie ein 1764 getischlerter Barockschreibtisch ersteigert wird, dann ist das auf jeden Fall ein ganz besonderes Möbelstück und man darf es nicht aus dem Auge verlieren.

Denn nichts ist, was es auf den ersten Blick zu sein scheint. Ein normaler Banküberfall am helllichten Tag mitten in Stockholm? Zwei Täter, vermummt, die ein paar Geiseln nehmen, Taschen mit Geld füllen und alles Weitere der Polizei überlassen? Vorsicht, Falle! Und richtig: Als klar wird, dass es sich bei den Sprengstoffpaketen, die die Räuber gut sichtbar überall in dem Geldinstitut angebracht haben, um Attrappen handelt, wird das Gebäude ohne Umstände gestürmt - mit dem Ergebnis, dass einer der eindringenden Polizisten gar kein Polizist ist und in dem ganzen Trubel mit den Bankräubern unbemerkt verschwindet. Natürlich bleibt das Geld zurück.

Das ist Methode. Oder Raffinement. Ein erzählerischer Trick auf jeden Fall, auf den erfahrene Dahl-Leser schon gar nicht mehr hereinfallen. Gunnar Nyberg, der sympathische Koloss mit dunkler Vergangenheit und damit aussöhnender Gegenwart namens Ludmila Lundkvist, macht Urlaub auf Chios und in Venetien, um sich lediglich einen Alterswohnsitz zu suchen? Nie im Leben! Und richtig: Kurze Zeit später befindet er sich schon in Lebensgefahr.

Ja, der 1963 geborene Schwede weiß die Fäden zu ziehen, Motivationen anzudeuten, Verstrickungen zu verstecken. Nicht klüger als sein A-Team, seit dem sechsten Fall, Ungeschoren, unter der Leitung von Kerstin Holm stehend, weil Paul Hjelm, ihr langjähriger Partner und Kurzzeitgeliebter, in der Hierarchie der Polizei nach oben fiel, ist der Leser. Und ebenso atemlos wie die unter Zugzwang stehenden Ermittler hetzt er von Kapitel zu Kapitel. Von denen eines diesmal - mehr als sieben ganze Seiten lang - nichts als den Wortlaut der Bushrede an die Nation zu Beginn des Irakkrieges enthält. Entlarvend!

Literatur (gleich Erfindung) und Geschichte - bei Arne Dahl sind sie immer fest aneinander gekoppelt. Diesmal also das Jahr 2003, der 20. März und die folgenden Tage. Im Süden des Iraks brennen schon bald die Ölfelder, während sich in der Hauptstadt des Königreichs Schweden nach und nach herauskristallisiert, dass man es bei dem Banküberfall, der keiner war, mit Dingen zu tun hat, die zurückreichen bis in die Zeit des Kalten Krieges, ja weiter sogar bis in die Jahre 1941/42, als sich im belagerten Stalingrad zwei Wissenschaftler begegneten und die Voraussetzungen schufen für eine Zukunft, in der es um fossile Brennstoffe einmal keine Kriege mehr geben sollte.

Eine brisante Erfindung, die die Geheimdienste aus Ost und West auf den Plan ruft, dubiose Gestalten in Marsch setzt, eine Kette von Gewalt durch die zweite Jahrhunderthälfte initialisiert. Gewalt von Staaten gegen Staaten, wie sie der Fernseher gerade wieder in die so genannte "Kampfleitzentrale" des A-Teams überträgt. Und Gewalt von Einzelnen gegen Einzelne, die unschuldige Familien im Namen einer Doktrin auslöscht und sich fortzuzeugen scheint bis ans Ende der Zeiten.

In diesem Spiel sind Dahls Täter immer auch Opfer. Aus den Konflikten, in die sie geraten, kommen sie ohne Gewalt kaum heraus. "Wie rächt man sich am zwanzigsten Jahrhundert?", fragt einer in Totenmesse. Er hat alles verloren - seine Identität, seine Familie, seinen Glauben - und schlägt jetzt mit den Mitteln zurück, die ihm die einzig wirkungsvollen zu sein scheinen.

Ob das nicht manchmal etwas zu viel ist? Zugegeben, ja. Hin und wieder - und häufiger auch als im literarisch ausgefeilteren Vorgängerroman Ungeschoren - sind mir leichte Zweifel daran gekommen, wie weit man es noch treiben kann. Jeder der sieben bisher auf Deutsch vorliegenden Bände der auf zehn Romane angelegten Reihe topt seinen Vorgänger. Diesmal wird sogar die Kampfleitzentrale, ein sakrosankter Ort und Hort des Guten, für ein paar Stunden vom Gegner eingenommen. Was bleibt da noch an Ungeheuerlichkeiten? Doch schaut man dann die Figuren an, die einem längst wie die eigene Familie vorkommen, jeder und jede - auch die beiden, die erst seit Kurzem dabei sind - mit den vertrauten Eigenheiten, Stärken und Schwächen, dann schwinden diese Bedenken ganz schnell wieder und es beginnt die lange Wartezeit auf Arne Dahl/ Nummer Acht.



© 2009 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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