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Die aktuelle Rezension
(Oktober 2010)

Arnaldur Indrišason:
Frevelopfer

Köln: Lübbe 2010,
381 Seiten
ISBN 978-3-7857-2393-7


... alles andere aus der Krimiwelt
täglich bei:

"Mütter sind ätzend!"




Da hatten wir uns so an Arnaldur Indrišasons Reykjavíker Kommissar Erlendur gewöhnt - und dann taucht der im aktuellen Roman des isländischen Bestsellerautors nicht ein einziges Mal auf. Hat Urlaub auf unbestimmte Zeit genommen, den er in den Ostfjorden verbringt, in jener Gegend also, aus der er stammt und wo es für ihn noch ein ganz persönliches Trauma zu bewältigen gibt - Kälteschlaf, Indrišasons letzter auf Deutsch erschienener Roman, hat davon bereits erzählt. Auf alle Fälle scheint Erlendur mit dieser tief in die eigene Vergangenheit hineinreichenden Brudergeschichte so beschäftigt zu sein, dass selbst seine Freundin Valgeršur keinerlei aktuelle Informationen über ihn besitzt.

Doch zum Glück repräsentiert Erlendur die Reykjavíker Mordkommission ja nicht allein. Da sind ja noch der, was sein Privatleben angeht, etwas schweigsame Siguršur Óli und Elínborg, die Kommissarin, die in den bisherigen sieben Bänden um die isländischen Ermittler etwas mehr im Hintergrund agierten. So richtig wusste der Leser nicht, was von diesen beiden zu halten war. Erst jetzt, in Frevelopfer, bekommen sie ihre Chance und zumindest Elínborg - Siguršur Óli hat Beziehungsstress und andere Fälle am Hals - nutzt das aus, gewinnt Konturen und wächst uns richtiggehend ans Herz.

Geradezu prädestiniert für ihre aktuelle Aufgabe ist sie außerdem deshalb, weil es dabei gleich in mehrfacher Hinsicht um prekäre Verhältnisse zwischen Eltern und ihren Kindern geht. Sie selbst hat drei davon: Valžor, einen Siebzehnjährigen, der lieber heute als morgen der Familie den Rücken kehren würde, Aron, seinen etwas jüngeren Bruder, für den der ältere das Vorbild abgibt, und Theodóra, das Nesthäkchen, hochbegabt und "aus ganz anderem Holz geschnitzt" als ihre beiden Brüder. Genug Konfliktpotenzial also, wenn sie nach den langen Tagen, die Polizisten nun einmal haben, nach Hause kommt, um ihre zweite Schicht als sorgende Mutter und Köchin anzutreten. Und just in der Zeit, wo sie sich verstärkt um die Ihren kümmern müsste, wird sie mit dem Fall eines in seiner Wohnung mitten in Reykjavík auf brutale Weise ums Leben gebrachten Mannes konfrontiert, an dem von Anfang an vieles ziemlich merkwürdig ist.

Etwa die Tatsache, dass jener Tote, der junge Lehrer Runólfur, offensichtlich mit einer Frau zusammen war, bevor er ermordet wurde. Sodann, dass sich sowohl in seinen Taschen wie in seinem Magen die Vergewaltigungsdroge Rohypnol findet, an die ohne Rezept niemand herankommt. Und schließlich stößt man am Tatort auch noch auf einen Kaschmirschal, dessen intensiver Geruch Elínborg, die nicht nur eine kenntnisreiche und gute Köchin ist, sondern auch bereits ein Kochbuch veröffentlicht hat und gerade über das zweite nachdenkt, an Tandoori-Gerichte erinnert. Es wird nicht das einzige Mal sein, dass Elínborgs Nase sie in diesem Fall richtig lenkt.

Doch zunächst führt die Entdeckung der Besitzerin des Schals auf eine falsche Spur. Indem der Verdacht erst auf eine Tochter aus gutem Hause fällt und anschließend auf ihren Vater, der nichts weiter will, als sich für sie opfern, wird allerdings bereits das Hauptthema des Romans angeschnitten. In Indrišasons eigener Diktion heißt das: "Was kann man tun, wenn sich das System mit den Schurken verbindet?"

Es geht also um Recht auf der einen und Gerechtigkeit auf der anderen Seite. Beide sind - und daran kann auch Elínborg wenig ändern - nicht identisch. So dass, wer sich vom Recht im Stich gelassen fühlt, will er denn um jeden Preis Gerechtigkeit haben, glaubt, diese selbst in die Hand nehmen zu müssen. Damit allerdings agiert er nicht mehr innerhalb des gesetzlich vorgeschriebenen Rahmens und belädt sich selbst mit Schuld. Und so muss Arnaldur Indrišasons lebenskluge Kommissarin schließlich jemanden hinter Gitter bringen, den sie am liebsten laufen lassen würde, während sie einen anderen nicht mehr verantwortlich machen kann, der nicht nur im Fall der jungen Nína die Verantwortung trägt.

Frevelopfer bezieht seine Spannung wie alle Romane des isländischen Autors aus den moralischen Problemen, die das Buch aufwirft. Wenn Elínborg in die Vergangenheit des ermordeten Runólfur eindringt, stößt sie auf eine Dorfgemeinschaft, die ein in ihrer Mitte begangenes Verbrechen aus falscher Solidarität eisern beschweigt. Nur einer kann nicht vergessen, muss allerdings, um den Täter zu bestrafen, selbst außerhalb der Gesetze agieren.


© 2010 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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