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Die aktuelle Rezension
(Januar 2007)

Alfred Komarek:
Die Villen der Frau Hürsch
Zürich: Diogenes Verlag AG
2006, 247 Seiten
ISBN 3-7466-1513-5
Als Detektiv im Ausseer Land




Daniel Käfer ist 39 Jahre alt und augenblicklich ohne feste Anstellung. In Deutschland hat der aus Graz stammende Journalist ein Hochglanzmagazin namens IQ herausgegeben, ein aus der Masse der uniformen Presseerzeugnisse herausragendes Blatt, dem freilich kein sonderlicher Verkaufserfolg beschieden war. Nun, nach dem vorhersehbaren Ende des verlegerischen Unternehmens, nimmt Komareks Held eine Auszeit, um sich beruflich neu zu orientieren, aber vor allem verfolgt ihn die Idee, einmal wieder zurückzukehren ins Salzkammergut zwischen Aussee, Ischl und Gosau, wo er die glücklichsten Tage seiner Kindheit zusammen mit den Eltern und dem Bruder verbrachte. Doch schon bald nach seiner Ankunft vor Ort sieht er sich in geheimnisvolle Geschichten verstrickt, die weit in die Vergangenheit zurückreichen, am Mythos der eigenen Familiengeschichte kratzen und das Gewesene tragisch kontrastieren. Ein paar Zufälle und Bekanntschaften führen den, der sich auf der glänzenden Spur einer ungetrübt sonnigen Geschichte des eigenen Herkommens wähnt, in Winkel, denen sich auf sichtbare und unsichtbare Weise ganz andere Dinge eingeschrieben haben als die, an welche er sich voller Dankbarkeit erinnert.

Die Villen der Frau Hürsch ist ein Provinzroman. Und Provinz ruht in sich selbst. Hier -abseits der großen Städte, jenseits der Anonymität von nicht enden wollenden Häuserschluchten - kennt jeder jeden und die Zugereisten haben es a priori schwer, Zugang zur etablierten Gesellschaft zu finden. Weder Käfer noch der geheimnisvolle Eustach Schiller, eine seiner ersten Bekannntschaften vor Ort, sind in die soziale Hierarchie der Talschaft integriert. Allein sie bemühen sich um Annäherung an den Stammtisch im Wirtshaus mit dem geheimnisvollen Namen "Zum Ech", wo Dinge von Belang diskutiert und manchmal auch entschieden werden, zwängen sich in die örtliche Tracht, stülpen sich den im Tal gebräuchlichen Hut auf den Kopf, lassen sich das Halstuch von kundigen Händen binden und geben eine Lederhose in Auftrag, auf deren Fertigstellung man freilich jahrelang warten muss, so lange wie es eben braucht, um von den Ansässigen wirklich akzeptiert zu werden.

Alfred Komarek weiß das alles mit Witz und Eleganz vor seinem Leser auszubreiten. Daniel Käfers Gänge durch eine Vergangenheit, die sich im Laufe von Jahrzehnten zur Idylle verklärt hat, sind wenig spektakulär. Aber bald schon ist er von einem Personal umgeben, das ihm bei der Suche nach sich selbst helfend zur Seite tritt. Da ist seine Zimmerwirtin, die Schlömmer Mirz, die ihm mit abendlichen Branntweinrunden, einem wortkargen Ehemann und guten Kontakten von Nutzen ist. Da sind die beiden Kinder des Wirtes vom "Ech" - Anna und Peter -, ein Junge, der ihn zurück auf die Schleichpfade der Kindheit führt und eine 19-Jährige, deren erotische Ausstrahlung dem doppelt so alten Journalisten durchaus gefährlich werden könnte. Da sind Honoratioren und lokale Zeitungsmacher, mit denen es sich nicht nur gut plaudern lässt, sondern die auch ihre eigenen Absichten verfolgen. Und von außen kommen Käfers Münchner Freundin Sabine und sein Bruder, ein erfolgreicher Grazer Anwalt, der die Bodenhaftung nicht verloren hat, hinzu. Schließlich und endlich aber sind da der berühmte Stammtisch und eine zunächst sehr barsche Nachfahrin jener Frau Hürsch, der die bekannten Villen gehören, von denen eine vorzeiten einer Urgroßtante Käfers vererbt wurde, ohne dass die in der Folge von dieser Erbschaft groß profitieren konnte.

Und es tauchen Dinge auf. Namen, in einen Stein gekratzt. Dienstbotenbücher, in denen Seiten fehlen. Zeitungsmeldungen, die Käfer zweifeln lassen an der eigenen Familiengeschichte, wie sie ihm überliefert wurde. Dinge, an denen er sich während seines Aufenthaltes abarbeiten kann und die in letzten Endes lehren, dass alles seine verborgene Seite hat und noch die glücklichste Kindheit dunkle Schatten verbirgt.

Das alles erzählt der kleine Roman, der nicht so recht ins Schema eines Krimis passen will, völlig unaufgeregt und nahezu actionfrei. Einmal schnappt eine Fuchsfalle zu, aber sonst: Keine Pistolenschüsse, keine Messerstiche, nicht das kleinste Würgemal. Aber man legt das Buch trotzdem nicht aus der Hand. Weil es einen inneren Spannungsbogen hat, der trägt. Und ein Figurenensemble, das lebendig und mehrdimensional angelegt ist, sodass der Leser nie weiß, was sich hinter der oft allzu glatten Oberfläche verbirgt, welche Leichen der- oder diejenige im Keller haben, wie er oder sie sich zur Vergangenheit verhalten und in welche Richtungen ihre gegenwärtigen Interessen zielen. Alles liegt scheinbar klar auf der Hand und hat dennoch zumindest einen doppelten Boden.

Um Simon Polt, den seltsam-kauzigen Gendarmerie-Inspektor, hat Komarek zwischen 1998 und 2003 vier Romane gesponnen. Wie man hört, ist auch mit Daniel Käfer als tragendem Charakter eine Tetralogie geplant, von der 2007 der dritte Band als Hardcover-Ausgabe erscheinen wird. Der hier erstmals als Taschenbuch vorliegende erste Band der Reihe macht gespannt darauf, wie es weitergeht. Noch hat Komarek nicht zuviel verraten. Einzelne Figuren sind durchaus noch entwicklungsfähig. Und in den Villen der Frau Hürsch halten sich sicher nicht die einzigen Geheimnisse des Ausseer Landes verborgen.



© 2007 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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